Der Fall – Teil 4

Ich wache in meinem Zimmer wieder auf. Schmerzen habe ich keine und es dreht sich auch nichts mehr. Kartinka kommt grade durch die Tür. „Gut du bist wieder wach. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Die OP verlief gut. Wir haben alles wieder richtig zugenäht. Jetzt draufst du dich aber wirklich nicht so viel bewegen.“

„Wie lange war ich weg?“ Ich beobachte wie sie zu mir ans Bett kommt und kurz die Monitore betrachtet. „Ungefähr drei Stunden. Also nicht so lange wie beim letzten Mal. Wir haben dir kein Zusätzliches Narkotikum gegeben. Nur die Schmerzmittel und eine lokale Betäubung am Bauch. Du hast allerdings doch eine Menge Blut verloren, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass du bewusstlos warst. Hätten wir dir dann eine Narkose verpasst, hätte es auch gut möglich sein können, dass du jetzt noch nicht wach wärst. Keine Ahnung wie dein Körper in diesem Zustand darauf reagiert hätte.“

Ich schaue sie noch eine Weile an und frage mich, warum die Wunde überhaupt so stark aufreißen konnte. Nach einer Woche Bewusstlosigkeit hätte sie doch schon wenigstens zum Teil verheilt sein müssen. „Ist das schon mal passiert? Das die Naht aufgerrissen ist?“

„Ja. Als du bewusstlos warst hast du dich trotzdem manchmal bewegt. Die Naht ist dadurch zwei mal aufgerissen. Heute dann das dritte Mal. Wir haben schon überlegt dich festzubinden, aber wenn du dann aufgewacht wärst und so da gelegen hättest, wäre es wohmöglich noch schlimmer gewesen, weil du dich noch viel mehr bewegt hättest. Davon mal abgesehen, dass es ziemlich traumatisch gewesen wäre. Also haben wir uns dagegen entschieden und am nächsten Morgen bist du auch endlich aufgewacht.“

„Oh man. Kein Wunder, dass es nicht heilen will.“

„Mach dir mal keinen Kopf. Wir müssen jetzt einfach nur darauf aufpassen, dass du dich so wenig wie möglich bewegst, damit es nicht bei einer falschen Bewegung wieder aufgeht. Ich denke, dass wir es dieses Mal auch noch besser zugemacht haben.“ Sie lächelt mich schwach an. „Hauptsache du bist nicht wieder so lange Bewusstlos.“ „Ja wenigstens etwas. Hast du meiner Mutter bescheid gegeben? Hoffentlich macht sie sich nicht noch mehr sorgen.“

„Sie ist grade in der Cafeteria und holt sich etwas zu essen. Ich habe sie anrufen lassen nachdem du Bewusstlos geworden bist. Sicher ist sicher. Sie ist dann gleich her gekommen um auf dich zu warten.“

„Ok. Dann wird sie sicher gleich wieder hier sein.“ Kartinka wendet sich schon zum gehen. Bestimmt hat sie noch andere Patienten, aber eigentlich will ich gar nicht das sie geht. „Hey ähm.. Du sag mal? Hast du vielleicht Lust auf einen Kaffee?“ Irgendwie fühle ich mich wie so ein 16jähriger, der grade nach seinem ersten Date fragt. Man bin ich peinlich. Kartinka dreht sich wieder zu mir um und schaut mich an. Ich hab keine Ahnung, was dieser Blick zu bedeuten hat. Bin ich zu weit gegangen? Schließlich ist sie meine Ärztin und gestern Abend war meine Exfreundin noch bei mir. Ganz bestimmt hat sie einen Freund oder so. Vielleicht auch eine Freundin.
„Du bist im Moment mein Patient, also lautet die Antwort nein. Außerdem kann ich es mir im Moment auch nicht leisten viel Freizeit zu haben. Tut mir leid.“

Wow ok. Vielleicht hätte ich das nicht fragen sollen, aber sie sagt ja im Moment, also ist es in einer Woche vielleicht anders. „Alles klar. War auch nur so eine Idee. Irgendwie muss ich mich ja revanchieren, wenn du mir so oft das Leben rettest.“
„Du bist echt süß, aber es ist ja mein Job Leben zu retten und ein Date oder eine Beziehung mit einem Patienten könnte mich wohmöglich den Job kosten.“
„Also wenn ich nicht mehr dein Patient bin könnte die Antwort anders ausfallen?“ Ich grinse sie an. Das sind doch super Aussichten und Motivation genug hier raus zu kommen.
„Naja. Wer weiß das schon. Noch bist du hier und solange die Gefahr besteht, dass deine Wunde nochmal aufreißt wirst du auch noch hier bleiben.“ Sie zeigt dabei auf meinen Bauch und ich spüre deutlich den Verband auf meiner Haut, fast so als ob er mir sagen will, dass es noch lange nicht vorbei ist.
„Tolle Prognose Frau Doktor.“ Ich sehe sie mit einem schiefen Lächeln an und genau in diesem Moment geht die Zimmertür auf und meine Mutter kommt rein.
„Oh mein Liebling. Du bist wieder wach. Gott sein dank. Jag mir bloß nie wieder solch ein schrecken ein, hörst du?“ Mutter kommt im schnellen Schritt auf mich zu und Drückt mir unter Tränen Küsse auf den Kopf.
„Mama bitte. Ich versuch hier grade eine Dame zum Kaffee einzuladen.“, flüster ich ihr leise ins Ohr und im selben Augenblick höre ich wie die Zimmertür hinter Kartinka zu geht.
„Was? Wie kannst du jetzt an Kaffee denken? Dir scheint es besser zu gehen.“ Mutter lässt mich lachend los und geht hinüber zum Stuhl. „Du weißt aber schon, dass sie deine Ärztin ist oder? Nur weil sie sich Sorgen um dich macht, heißt das noch lange nicht, dass sie auf dich steht. Auch wenn sie die ganze Zeit über ziemlich oft hier war. Vielleicht hat sie aber auch nur Mitleid mit dir.“ Mutter liebt es mich mit sowas aufzuziehen. Das hat sie früher schon getan.
„Tja vielleicht steht sie aber doch auf mich. Erstens hat sie gesagt, dass sie, solange ich ihr Patient bin, nicht zustimmen darf. Alles was danach kommt ist keine Arbeit mehr. Und zweitens hat sie mich im OP, als ich hier angekommen bin bestimmt nackt gesehen. Das kann viele Frauen beeindrucken. Ein Wunder, dass die Krankenschwestern hier nicht Schlange stehen um mich zu waschen.“ Ich strecke ihr die Zunge raus und will lachen, aber dabei tut die Wunde am Bauch doch ziemlich weh, weshalb ich es schnell sein lasse. Dafür lacht Mutter genug für uns beide.
„Oh du weißt ja gar nicht, was hier los war, als du Bewusstlos warst. Natürlich muss abundzu jemand nach dir sehen, aber deine Ärztin kam einmal die Stunde und wenn dein Verband oder deine Kateta gewechselt werden mussten haben die Schwestern nicht unbedingt das Gesicht verzogen. Ich wusste ja schon immer, dass ich eine  hübschen Sohn habe, aber dass er solch eine Wirkung auf Frauen hat wusste ich bis her noch nicht.“ So habe ich Mutter schon lange nicht nehr lachen gehört.
Plötzlich klopft es an der Tür und der Polizist, der anscheinend immer noch vor meiner Tür postiert ist steckt seinen Kopf hinein. „Verzeihung die Störung, aber eine junge Dame möchte zu ihnen rein. Sie sagt, sie war gestern Abend schon hier und sie wolle nach ihnen sehen.“
„Ich hab ihr gesagt, sie soll weg bleiben. Bitte lassen sie sie nicht rein. Ich brauche ruhe.“ Langsam bin ich etwas genervt von Emily. Warum kommt sie ständig wieder her? Was will sie denn noch? Sie hat mir gestern alles erzählt, was sie weiß.
Der Polizist schließt die Tür nicht, weshalb wir leise mitbekommen, was dort draußen passiert.
Emily will sie anscheinend nicht abwimmeln lassen. Irgendwie schafft sie es am Polizisten vorbei zu kommen und stürmt ins Zimmer rein. Sie sieht irgendwie aufgelöst aus und da ist noch etwas in ihren Augen. Ist das Wut? Weshalb sollte sie wütend auf mich sein? Ich hab ihr gestern gesagt, ich brauche Zeit und sie hat mir zugestimmt. Also was ist los?
„Warum? Wie kann das sein? Warum lebst du noch?“ Sie schreit diese Wörter, so dass man sie sicher auch noch am Ende des Flurs hören kann. „Ich verstehe das nicht. Es war doch alles perfekt. Warum lebst du noch?“ Bei den letzten Worten holt sie etwas aus ihrer Tasche raus, was ich erst nicht erkennen kann. Mutter schreit auf und da erkenne ich, womit meine Ex Freundin auf mich zeigt. Sie hält eine Waffe in der Hand. Was soll das? Was ist los mit ihr? Gott, der Tag wird immer schlimmer.
„Emily. Was soll das? Was hast du vor?“ Ich spreche erstaunlich ruhig. Mir fehlt irgendwie die Kraft Angst zu haben. Warum auch? Ich wäre schon beinahe gestorben und das nicht nur einmal. Angst hilft mir nicht weiter. „Nimm die Waffe runter und sag mir was los ist. Was willst du tun? Willst du mich wirklich töten?“
„Ja ganz genau das will ich. Das muss ich. Wenn ich es nicht tue, war alles um sonst. Die ganze Forschung war um sonst. Du hättest sterben müssen. Keiner brauchte dich je lebend. Wir brauchten nur etwas zum testen und dein Körper war perfekt dafür.“ Emily hat einen wilden, entschlossenen und etwas irren Blick. Sie schwenkt ihre Waffe auf meine Mutter und sagt: „Sie sollte jetzt am besten tun was ich sage, verstanden?“ Mutter nickt. „Gut. Los rüber zu ihm. Sie schieben jetzt das Bett für mich. Und machen sie bloß keine falsche Bewegung und nicht auf dumme Ideen kommen.“
Mutter kommt zu meinem Bett rüber und versucht die Räder lose zu stellen. Sie hat natürlich keine Ahnung davon, also dauert es eine Weile bis es klappt. Emily wird immer nervöser. „Nun machen sie schon. Ich hab nicht ewig Zeit. Los jetzt. Schieben sie das Bett aus den Zimmer.“ Emily winkt mit der Waffe Richtung Tür und während Mutter mein Bett rausschiebt, läuft Emily mit der Waffe auf uns gerichtet hinter uns her.
Ich bin als erster auf dem Flur und ein Blick zur Seite sagt mir was gleich passieren wird. Mutter schiebt mich immer weiter. „Schau nur grade aus Mama.“, sage ich ihr leise. Sie schiebt mich noch ein kleines Stück bis sie auch ganz aus dem Türbereich verschwunden ist. Hinter uns läuft Emily immer noch mit der Waffe. Auf dem Flur ist es unglaublich stimm geworden. „Duck dich. Jetzt!“, sag ich zu meiner Mutter. Wieder leise genug, dass Emily es sicher nicht verstehe kann. Mutter lässt das Bett los und springt neben das Bett und duckt sich dahinter. Und dann war es auf einmal sehr laut.
„Die Waffe auf den Boden legen und die Hände hoch so das wir sie sehen können!“ Der Polizist vor der Tür hat Verstärkung gerufen. Die war zum Glück auch ziemlich schnell da, wie es aussieht. Sie haben sich im Bereich hinter der Tür postiert und stellen sich nun mit gezückten Waffen um uns herum und behalten Emily ganz genau im Auge. „Los jetzt! Waffe runter und Hände über den Kopf!“, ruft einer der Polizisten erneut. Emily hebt die Hände über den Kopf, hat aber die Waffe noch in der einen Hand. Eine Polizistin nähert sich ihr von der Seite her an. Die Waffe auf sie gerichtet. Bei ihr angekommen, nimmt sie die Hand mit der Waffe und zieht sie runter um die Waffe zu entwänden und in der gleichen Bewegung ihr den Arm auf dem Rücken zu verdrehen. Ich sehe alles zwar nur spiegelverkehrt, weil durch zufall ein Fenster gegenüber der Tür ist und es recht dunkel draußen ist, aber immerhin kann ich es sehen. Emily fängt an sich zu währen, aber ein anderer Polizist schnappt sich ihren zweiten Arm. Ein dritter nimmt der Polizistin die Waffe ab, um sie in eine Tüte oder so zu stecken. Mutter kommt aus ihrem Versteck hoch und schiebt mein Bett noch ein Stück auf den Flur, weg von dem Tumult. Kartinka kommt nun auch auf mich zugelaufen, genau wie zwei Krankenschwestern.
„So ein Mist. Ist alles gut? Wo ist der Tropf? Los wir schieben ihn wieder ins Zimmer. Da ist es ruhiger.“
Die Schwestern schieben das Bett rückwärts wieder ins Zimmer. Die Polizei bringt Emily bereit raus während ich ins Zimmer geschoben werde. Man hier wird es echt nie langweilig. Dabei könnte ich mal wieder etwas Langeweile vertragen und schlaf wäre jetzt auch nicht schlecht.
Ich bin grade dabei etwas wegzudämmern, als Kartinka mich anspricht: „Hey! Jetzt wird nicht geschlafen ja? Du kannst später wieder ins Reich der Träume gehen, aber jetzt bleibst du erst mal etwas wach.“ Sie steht jetzt direkt über mir uns leuchtet mit irgendwas in meine Augen.
„Ok ok. Ich versuche nicht einzuschlafen, wenn du aufhörst mich zu blenden.“ Ich hebe die Hand um sie mir vor die Augen zu halten und drehe gleichzeitig mein Kopf zur Seite.
„Gut. Ist alles gut bei dir? Hast du Schmerzen? Ist dir schwindelig?“
„Nein ich bin nur erschöpft. Diese Ex Freundin macht mich ganz schön fertig. Mama ist bei dir alles gut?“ Meine Mutter hat sich auf einen Stuhl gesetzt und eine der Schwestern hat ihr etwas zu trinken gegeben.
„Geht schon. Ich bin nur etwas fertig. Was für eine Frau.“ Sie starrt irgendwas an, was ich nicht sehen kann und schüttelt leicht den Kopf. „Zum Glück sind wir sie jetzt los.“

In der nächsten Woche hatte ich endlich Zeit mich richtig auszuruhen. Meine Wunden verheilten richtig gut und eine Woche vor Weihnachten konnte ich endlich wieder nach Hause. Mein bester Kumpel Denis holte mich mit dem Auto ab. Auf dem Weg nach draußen habe ich Kartinka noch mal getroffen und ihr einen Zettel mit meiner Nummer gegeben. Dazu hab ich gesagt: „Jetzt bin ich nicht mehr dein Patient. Jetzt hast du keine Ausrede mehr und meine Mutter hat dich auch schon zu Weihnachten eingeladen. Also ruf mich mal an.“ Zum Abschied hab ich ihr einen Kuss auf die Wange gegeben.
Am nächsten Tag hat sie mich dann tatsächlich angerufen. Wir haben uns dann auf einen Kaffee getroffen.
Die Ermittlungen der Polizei waren auch recht schnell abgeschlossen, nachdem sie Emily verhaftet haben. Sie hat da mit drin gesteckt und mich als Opfer ausgewählt, weil ich ihr das Herz gebrochen habe. Es gab noch eine ganze Menge mehr, was sie so erzählt hat, aber ich habe den Polizisten, die mich nach meiner Aussage informiert haben, gesagt, dass ich das alles gar nicht so genau wissen will. Hauptsache die Täter bekommen ihre gerecht Strafe. Höchstwahrscheinlich muss ich noch eine Aussage vor Gericht machen. Davor sollte ich mich mit einigen Fakten noch mal auseinander setzen, aber ich habe einen Anwalt, der mir dabei hilft und die Verhandlung wurde aufs nächste Jahr gelegt. So muss ich mich zu Weihnachten nicht mit diesem Thema beschäftigen.

Am ersten Weihnachtsfeiertag ist eine super Stimmung zu Hause. Wir sind zwar nur zu dritt, aber wir sind froh und glücklich, dass wir alle hier sind. Ella telefoniert wie jedes Jahr an diesem Tag mit ihrer leiblichen Mutter. Sie konnte sich damals nicht um sie kümmern, aber meine Mutter hat darauf bestanden, dass sie den Kontakt hält. So hat Ella zwei Mütter.
Während Ella als mit ihrer leiblichen Mutter spricht helfe ich meiner Mutter dabei den Tisch zu denken. Für vier Personen.
„Kartinka hat vor zehn Minuten geschrieben, dass sie in einer viertel Stunde da ist.“ Ich lächle Mutter an. Ich glaube ich war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen und Mutter auch nicht. Nicht seit Vater gestorben ist. Seit ich aus den Krankenhaus bin ist sie die bestimmt glücklichste Frau auf der Welt und ich hab sie so unendlich lieb.

Nachdem Kartinka angekommen ist und wir zusammen Entenbraten gegessen haben machen wir uns einen gemütlichen Abend im Wohnzimmer neben dem Weihnachtsbaum und genießen jede Minute unseres Lebens.

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