Am nächsten Morgen als ich aufwache steht schon das Frühstück am Bett. Nach dem Essen kommt Kartinka ins Zimmer begleitet von einer Schwester und versorgt wieder meine Verletzungen.
„Das sieht doch ganz gut aus heute. Was machen die Schmerzen? Sollen wir noch mal etwas vom Schmerzmittel geben?“
Ich verziehe das Gesicht vor Schmerz während die Schwester den Verband umlegt. „Ja so ein bisschen wäre nicht schlecht. Man tut das vielleicht weh.“ Ich stoße die Luft vor Schmerz aus. Wow gestern hat das nicht so weh getan.
„Gut. Dann bleibt der Tropf heute auf jedenfall noch dran.“ Sie sagt der Schwester welches Medikament wir brauchen und diese läuft los um es zu holen. Währenddessen schreibt Kartinka etwas in meine Patientenakte.
„Morgen sollte das alles schon etwas besser gehen. Dann kannst du sicherlich auch schon aufstehen und etwas laufen. Und am Ende der Woche kannst du vielleicht auch schon wieder nach Hause. Je nachdem wie es dann mit der Beweglichkeit aussieht.“ Kartinka legt die Akte beiseite und setzt sich neben mich aufs Bett. „Wie geht es dir sonst? Konnten dir die Polizisten irgendwas sagen?“
„Nein. Die haben mir nur Fragen gestellt, die ich nicht beantworten konnte und sind wieder gegangen. Ich hatte nicht mal die Gelegenheit Fragen zu stellen, aber was solls. Hauptsache es ist vorbei. Und ich weiß gar nicht so genau, ob ich mich wirklich erinnern will. Obwohl da echt nichts ist, an das ich mich erinnern könnte.“
„Na zerbrich dir nicht den Kopf. Wenn da nichts ist was du gesehen oder gehört hast, kannst du dich auch nicht daran erinnern. Wer weiß. Vielleicht fällt dir ja auch in den nächsten Tagen noch irgendwas ein, was dir entgangen ist. Manchmal braucht es auch einen bestimmten Auslöser um bestimmte Erinnerungen hochzuholen. Eine Person, ein Bild oder ein Geräusch. Manche wissen dann auch Dinge, die sie gar nicht wissen könnten, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht ganz bei Bewusstsein waren. Sie haben die Dinge zwar wahrgenommen, aber nicht bewusst und wissen davon dann eben nichts mehr.“
„Ok na dann warten wir einfach mal ab würde ich sagen.“ Ich lächle Kartinka an und sehe sie das erste Mal richtig. Sie sieht echt hübsch aus. Die hellblauen Augen und der kleine Mund passen unglaublich gut in ihr Gesicht. Ihr braunes Haar hat sie zu einem Zopf gebunden. Sie hat einen aufrichtigen Blick und ein unglaublich süßes Lächeln. Wenn ich nicht grade im Bett liegen würde und sie meine Ärztin wäre, würde ich sie womöglich nach ihrer Nummer oder einem Date fragen.
Aber wie das Schicksal es will, hat es uns genau auf diese Weise zusammen gebracht.
Nachdem ich die Schmerzmittel bekommen habe, verfliegt der Tag wie im Fluge. Meine Mutter und Ella kommen wieder zu mir und wir unterhalten uns. Mutter hat ein paar Karten- und Brettspiele mitgebracht. Wir haben viel Spaß, auch wenn das Lachen auf Dauer etwas mühsam wird.
Meine Kumpel kommen heute nicht vorbei. Sie haben ja auch noch ein Leben und ich brauche noch meine Ruhe. Mit Denis, meinem besten Freund, habe ich irgendwann heute telefoniert. Die Zeitabfolge verwischt irgendwie noch ein wenig. Kartinka meint, dass das normal ist und in den nächsten Tagen wieder besser wird. Jedenfalls holt Denis mich mit dem Auto vom Krankenhaus ab, sobald ich nach Hause kann. Dann muss Mutter kein Taxi bestellen. Aber ich schätze, so schnell brauche ich übers nach Hause gehen noch nicht nachdenken. Sitzen kann ich immer noch nicht richtig. Es tut immer noch sehr weh, wenn das Schmerzmittel nachlässt. Vielleicht ist es morgen ja auch schon besser.
Nachdem Mutter und Ella gegangen sind, habe ich noch ein oder zwei Stunden geschlafen. Jetzt esse ich Abendbrot als es ab der Tür klopft. Kartinka war schon da, also wer könnte das jetzt noch sein?
Der Polizist, der immernoch vor meiner Tür steht, steckt den Kopf herein. „Entschuldigung die Störung. Eine junge Dame möchte zu ihnen. Sie steht allerdings auf der Liste als unerwünscht. Die Dame meint es ist dringend. Sie muss mit ihnen reden. Soll ich sie rein lassen oder wegschicken?“
Meine Ex. Ganz sicher. Was um alles in der Welt will sie hier.
„Sagen sie ihr sie soll mich in Ruhe lassen.“, antworte ich etwas wütend. Sie nervt mich einfach nur. Vor dieser ganzen Sache hat sie mich auch unzählige Male versucht anzurufen, aber ich bin nie rangegangen. Auf ihre seltsamen Textnachrichten habe ich auch nicht reagiert. Ruf mich zurück. Antworte mir bitte. Es ist wirklich wichtig. Bitte antworte mir. Wenn es nicht so wichtig wäre, würde ich mich nicht bei dir melden, also bitte geh ans Handy.
„Tut mir leid, aber sie müssen jetzt bitte gehen. Herr Menzer möchte sie hier nicht sehen.“ Ich höre den Polizisten durch die angelehnte Tür.
„Aber es ist wirklich wirklich wichtig. Es geht ja nicht um irgendwelchen Beziehungskram. Es hat mit dieser ganzen Sache hier zu tun. Ohne mich würde er gar nicht hier sein. Bitte lassen sie mich einfach zu ihm. Ich will es ihm erklären, warum er jetzt im Krankenhaus liegt.“ Sie klingt unglaublich aufgelöst. So ähnlich klang sie auch, als ich sie mit all den Lügen und Betrügereien konfrontiert habe. Als ich mit ihr Schluss gemacht habe. Als ich ihr und mir das Herz zerrissen habe. Was meint sie denn damit, dass es ihretwegen ist?
„Hey! Ist ok. Ich will hören was sie sagen will.“, rufe ich Richtung Tür zu dem Polizisten. Er dreht den Kopf zu mir, nickt und tritt einen Schritt beiseite.
Emily kommt ins Zimmer. „Lass die Tür offen.“, sag ich zu ihr. So kann der Polizist direkt eingreifen, falls ich hilfe brauche.
Emily geht langsam ums Bett herum und nimmt sich einen Stuhl um sich neben dem Bett hinzusetzten. Sie lässt ihre Jacke an und hält ihre Tasche auf dem Schoß in den Händen fest.
„Also was willst du mir sagen?“ Ich sehe sie auffordernt an und warte ungeduldig auf ihre Antwort.
„Naja es ist meine Schuld, weißt du?“, fängt sie an. „Ich arbeite an so einem Projekt, von dem ich noch nicht viel erzählen darf. Ich kann dir nur sagen, dass es ein Medikament ist. Mein Professor und ich arbeiten da allein dran für ein Pharmaunternehmen. Irgendwie hat dieser komisch Verbrecherring davon Wind bekommen und versucht uns zu erpressen. Deswegen wollte ich dich die ganze Zeit erreichen. Sie haben unsere Familien und Freunde bedroht. All die die uns etwas bedeuten, aber wir haben nicht nachgegeben. Jedenfalls nicht schnell genug. Und dann warst du verschwunden. Denis hat mich gefragt, ob ich dich gesehen habe und da war mir klar, dass etwas nicht stimmt. Ich wurde von deinen Entführern kontaktiert und sie wollten, dass ich ihnen das Rezept für das Medikament gebe. Ich wollte es schon machen, aber mein Professor hat mich abgehalten. Und dann hab ich die Polizei gerufen. Die haben alles möglich verfolgt und untersucht. Die suchen diesen Ring schon ziemlich lange. Und zum Glück haben sie einen Hinweis gefunden, der zu dir führte. Die Entführer haben dein Handy zwar sofort ausgemacht, waren aber so dumm es wieder einzuschalten.“ Emily lächelt mich traurig an. Mann was für eine Geschichte. Klingt wie aus einer Serie oder einem Film, aber nicht wie real. „Jetzt hat die Polizei fast alle aus dieser Organisation gefasst. Sie wollten dir für jeden Fehler, den ich mache und jedes Zögern, ein Organ entnehmen und dich am Ende, wenn du tot bist, als Drogenkurier verwenden. Keine Ahnung wie sie das machen wollten, aber es klang einfach schrecktlich und ich hatte solche Angst um dich. Also ich dann gesehen habe, wie du aussiehst als du hier im Krankenhaus warst, war ich total am Boden. Ich bin zur Polizei und habe sie dazu gebracht mich mit einem der Verdächtigen reden zu lassen. Als ich wusste was ich wissen wollte, ist der leitende Ermittler dazu gekommen und hat dem Mann einen Deal angeboten. Gestern Abend ist er darauf eingegangen und hat der Polizei alles gesagt, was er weiß.“ Sie steicht sich ihre blonden Haare aus dem Gesicht und schaut mich traurig an. „Es tut mir so leid, dass du da mit reingezogen wurdest. Die Polizei hat vor zwei Stunden die letzten Mitglieder dieser Bande festgenommen und die werden so schnell nicht wieder auf freiem Fuß sein. Die haben wohl noch eine ganze Menge mehr getan als das hier.“
„Danke, dass du mir das erzählst. Die Polizei hat mir bis jetzt nichts weiter gesagt. Ich denke, dass lässt mich verstehen. Aber bitte tu mir den Gefallen und komm nicht mehr hier her. Lass mir Zeit damit klar zu kommen und vergeben werde ich dir auch nie können was du mir davor alles angetan hast. Ich danke dir, dass du mir mein Leben gerettet hast, obwohl du der Grund warst weshalb ich in Gefahr geraten bin. Das ist ziemlich verwirrend.“ Ich fahre mir mit den Händen über das Gesicht. Das ganze verwirrt mich wirklich toltal. Ich weiß echt nicht was ich denken soll. Anscheinend bin ich Emily noch so wichtig, dass ich als Druckmittel fungieren kann. Nur hat sie mich so sehr verletzt mit ihren Seitensprüngen und Lügen, dass ich ihr das nie verzeihen kann. Ich denke wir werden nie wieder auch nur freunde sein, aber vielleicht treffen wir uns mal auf einen Kaffe und reden über alles, wenn das hier vorbei ist.
„Wir können vielleicht reden wenn ich hier raus bin ok? Aber ich muss nachdenken und mein Kopf ist noch ziemlich durcheinander.“
„Ja klar. Ich wollte nur, dass du das weißt. Ich wollte nicht deine Vergebung oder sowas.“ Sie steht auf und schiebt den Stuhm wieder zurück. „Ich werde dann mal wieder gehen und dich in ruhe lassen. Wenn du reden willst: meine Nummer hast du ja. Ich hoffe, dir geht es schnell wieder besser.“ Mit diesen Worten dreht sie sich um und geht zur Tür hinaus. Ich lasse sie gehen. Ich hab genug zum nachdenken.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Also ich aufwache steht Kartinka vor mir und es ist sehr hell. „Hey Tom. Wie geht es dir? Du hast ganz schön lange geschlafen.“ Ich will mich ein stück zu ihr hin drehen doch sie schiebt mich wieder zurück. „Nicht bewegen ok? Die Naht ist aufgegangen. Offensichtlich hast du dich letzte Nacht im schlaf viel bewegt. Wir bringen dich grade in einen Op. Bleib einfach ganz ruhig. Du blutest zwar stark, aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Wir werden dir allerdings eine Narkose geben müsseb und zu nähen.“
„Nein bitte nicht. Ich will keine Narkose. Ich will wach bleiben. Ich will nicht wieder ins dunkle.“ Panisch halte ich ihr Handgelenk fest und versuche mich auszusetzten, aber der Schmerz ist so überwältigend, dass mir Punkte vor den Augen tanzen und ich mich direkt wieder fallen lasse.
„Keine Sorge. Wir wecken dich auch wieder auf.“
„Nein nein bitte nicht. Gibt mir einfach Schmerzmittel oder so. Das reicht schon. Ich kann das aushalten. Nur nicht ins Dunkel schicken.“ Meine Sprachfähigkeiten lassen irgendwie nach. Mir ist auch ganz schwindelig und alles ist verschwommen. Kartinkas Handgelenk ist immer noch in meiner Hand und ich werde es so schnell nicht los lassen.
Meine Ärztin ruft einem Pfleger etwas zu und kurz darauf erscheint eine Krankenschwester am Bett und füllt im laufen eine Spritze mit Flüssigkeit.
„Du bist immernoch am Tropf. Wir geben dir eine etwas stärkere Dosis Schmerzmittel als die letzten zwei Tage. Du wirdt es auch hoffentlich ziemlich schnell merken. Wenn nicht sag bescheid. Du bekommst auch gleich noch ein Mittel, dass dich etwas entspannt. Vor allem deine Muskeln müssen sich entspannen, damit wir die Naht wieder neu setzten können. Ich lasse dir eine örtliche Betäubung geben, kann aber nicht versprechen, dass das reichen wird. Ich versuche zu verhindern, dass du wieder ins Dunkle musst ok?“ Den letzten Satz flüstert sie mir im Gehen ins Ohr und ich versuche sie anzusehen, aber als ich den Kopf bewege dreht dich nur alles. Im nächsten Moment fangen die Schmerzmittel an zu wirklich. Der Schmerz verschwindet nicht sofort, aber er wird ein wenig schwächer. Dann muss ich dich das Bewusstsein verloren haben, denn ich erinnere mich nicht an das was folgte.
Ich wache in meinem Zimmer wieder auf. Schmerzen habe ich keine und es dreht sich auch nichts mehr. Kartinka kommt grade durch die Tür. „Gut du bist wieder wach. Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Die OP verlief gut. Wir haben alles wieder richtig zugenäht. Jetzt draufst du dich aber wirklich nicht so viel bewegen.“
„Wie lange war ich weg?“ Ich beobachte wie sie zu mir ans Bett kommt und kurz die Monitore betrachtet. „Ungefähr drei Stunden. Also nicht so lange wie beim letzten Mal. Wir haben dir kein Zusätzliches Narkotikum gegeben. Nur die Schmerzmittel und eine lokale Betäubung am Bauch. Du hast allerdings doch eine Menge Blut verloren, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass du bewusstlos warst. Hätten wir dir dann eine Narkose verpasst, hätte es auch gut möglich sein können, dass du jetzt noch nicht wach wärst. Keine Ahnung wie dein Körper in diesem Zustand darauf reagiert hätte.“
Ich schaue sie noch eine Weile an und frage mich, warum die Wunde überhaupt so stark aufreißen konnte. Nach einer Woche Bewusstlosigkeit hätte sie doch schon wenigstens zum Teil verheilt sein müssen. „Ist das schon mal passiert? Das die Naht aufgerrissen ist?“
„Ja. Als du bewusstlos warst hast du dich trotzdem manchmal bewegt. Die Naht ist dadurch zwei mal aufgerissen. Heute dann das dritte Mal. Wir haben schon überlegt dich festzubinden, aber wenn du dann aufgewacht wärst und so da gelegen hättest, wäre es wohmöglich noch schlimmer gewesen, weil du dich noch viel mehr bewegt hättest. Davon mal abgesehen, dass es ziemlich traumatisch gewesen wäre. Also haben wir uns dagegen entschieden und am nächsten Morgen bist du auch endlich aufgewacht.“
„Oh man. Kein Wunder, dass es nicht heilen will.“
„Mach dir mal keinen Kopf. Wir müssen jetzt einfach nur darauf aufpassen, dass du dich so wenig wie möglich bewegst, damit es nicht bei einer falschen Bewegung wieder aufgeht. Ich denke, dass wir es dieses Mal auch noch besser zugemacht haben.“ Sie lächelt mich schwach an. „Hauptsache du bist nicht wieder so lange Bewusstlos.“ „Ja wenigstens etwas. Hast du meiner Mutter bescheid gegeben? Hoffentlich macht sie sich nicht noch mehr sorgen.“
„Sie ist grade in der Cafeteria und holt sich etwas zu essen. Ich habe sie anrufen lassen nachdem du Bewusstlos geworden bist. Sicher ist sicher. Sie ist dann gleich her gekommen um auf dich zu warten.“
„Ok. Dann wird sie sicher gleich wieder hier sein.“ Kartinka wendet sich schon zum gehen. Bestimmt hat sie noch andere Patienten, aber eigentlich will ich gar nicht das sie geht. „Hey ähm.. Du sag mal? Hast du vielleicht Lust auf einen Kaffee?“ Irgendwie fühle ich mich wie so ein 16jähriger, der grade nach seinem ersten Date fragt. Man bin ich peinlich. Kartinka dreht sich wieder zu mir um und schaut mich an. Ich hab keine Ahnung, was dieser Blick zu bedeuten hat. Bin ich zu weit gegangen? Schließlich ist sie meine Ärztin und gestern Abend war meine Exfreundin noch bei mir. Ganz bestimmt hat sie einen Freund oder so. Vielleicht auch eine Freundin.
„Du bist im Moment mein Patient, also lautet die Antwort nein. Außerdem kann ich es mir im Moment auch nicht leisten viel Freizeit zu haben. Tut mir leid.“
Wow ok. Vielleicht hätte ich das nicht fragen sollen, aber sie sagt ja im Moment, also ist es in einer Woche vielleicht anders. „Alles klar. War auch nur so eine Idee. Irgendwie muss ich mich ja revanchieren, wenn du mir so oft das Leben rettest.“
„Du bist echt süß, aber es ist ja mein Job Leben zu retten und ein Date oder eine Beziehung mit einem Patienten könnte mich wohmöglich den Job kosten.“
„Also wenn ich nicht mehr dein Patient bin könnte die Antwort anders ausfallen?“ Ich grinse sie an. Das sind doch super Aussichten und Motivation genug hier raus zu kommen.
„Naja. Wer weiß das schon. Noch bist du hier und solange die Gefahr besteht, dass deine Wunde nochmal aufreißt wirst du auch noch hier bleiben.“ Sie zeigt dabei auf meinen Bauch und ich spüre deutlich den Verband auf meiner Haut, fast so als ob er mir sagen will, dass es noch lange nicht vorbei ist.
„Tolle Prognose Frau Doktor.“ Ich sehe sie mit einem schiefen Lächeln an und genau in diesem Moment geht die Zimmertür auf und meine Mutter kommt rein.
„Oh mein Liebling. Du bist wieder wach. Gott sein dank. Jag mir bloß nie wieder solch ein schrecken ein, hörst du?“ Mutter kommt im schnellen Schritt auf mich zu und Drückt mir unter Tränen Küsse auf den Kopf.
„Mama bitte. Ich versuch hier grade eine Dame zum Kaffee einzuladen.“, flüster ich ihr leise ins Ohr und im selben Augenblick höre ich wie die Zimmertür hinter Kartinka zu geht.
„Was? Wie kannst du jetzt an Kaffee denken? Dir scheint es besser zu gehen.“ Mutter lässt mich lachend los und geht hinüber zum Stuhl. „Du weißt aber schon, dass sie deine Ärztin ist oder? Nur weil sie sich Sorgen um dich macht, heißt das noch lange nicht, dass sie auf dich steht. Auch wenn sie die ganze Zeit über ziemlich oft hier war. Vielleicht hat sie aber auch nur Mitleid mit dir.“ Mutter liebt es mich mit sowas aufzuziehen. Das hat sie früher schon getan.
„Tja vielleicht steht sie aber doch auf mich. Erstens hat sie gesagt, dass sie, solange ich ihr Patient bin, nicht zustimmen darf. Alles was danach kommt ist keine Arbeit mehr. Und zweitens hat sie mich im OP, als ich hier angekommen bin bestimmt nackt gesehen. Das kann viele Frauen beeindrucken. Ein Wunder, dass die Krankenschwestern hier nicht Schlange stehen um mich zu waschen.“ Ich strecke ihr die Zunge raus und will lachen, aber dabei tut die Wunde am Bauch doch ziemlich weh, weshalb ich es schnell sein lasse. Dafür lacht Mutter genug für uns beide.
„Oh du weißt ja gar nicht, was hier los war, als du Bewusstlos warst. Natürlich muss abundzu jemand nach dir sehen, aber deine Ärztin kam einmal die Stunde und wenn dein Verband oder deine Kateta gewechselt werden mussten haben die Schwestern nicht unbedingt das Gesicht verzogen. Ich wusste ja schon immer, dass ich eine hübschen Sohn habe, aber dass er solch eine Wirkung auf Frauen hat wusste ich bis her noch nicht.“ So habe ich Mutter schon lange nicht nehr lachen gehört.
Plötzlich klopft es an der Tür und der Polizist, der anscheinend immer noch vor meiner Tür postiert ist steckt seinen Kopf hinein. „Verzeihung die Störung, aber eine junge Dame möchte zu ihnen rein. Sie sagt, sie war gestern Abend schon hier und sie wolle nach ihnen sehen.“
„Ich hab ihr gesagt, sie soll weg bleiben. Bitte lassen sie sie nicht rein. Ich brauche ruhe.“ Langsam bin ich etwas genervt von Emily. Warum kommt sie ständig wieder her? Was will sie denn noch? Sie hat mir gestern alles erzählt, was sie weiß.
Der Polizist schließt die Tür nicht, weshalb wir leise mitbekommen, was dort draußen passiert.
Emily will sie anscheinend nicht abwimmeln lassen. Irgendwie schafft sie es am Polizisten vorbei zu kommen und stürmt ins Zimmer rein. Sie sieht irgendwie aufgelöst aus und da ist noch etwas in ihren Augen. Ist das Wut? Weshalb sollte sie wütend auf mich sein? Ich hab ihr gestern gesagt, ich brauche Zeit und sie hat mir zugestimmt. Also was ist los?
„Warum? Wie kann das sein? Warum lebst du noch?“ Sie schreit diese Wörter, so dass man sie sicher auch noch am Ende des Flurs hören kann. „Ich verstehe das nicht. Es war doch alles perfekt. Warum lebst du noch?“ Bei den letzten Worten holt sie etwas aus ihrer Tasche raus, was ich erst nicht erkennen kann. Mutter schreit auf und da erkenne ich, womit meine Ex Freundin auf mich zeigt. Sie hält eine Waffe in der Hand. Was soll das? Was ist los mit ihr? Gott, der Tag wird immer schlimmer.
„Emily. Was soll das? Was hast du vor?“ Ich spreche erstaunlich ruhig. Mir fehlt irgendwie die Kraft Angst zu haben. Warum auch? Ich wäre schon beinahe gestorben und das nicht nur einmal. Angst hilft mir nicht weiter. „Nimm die Waffe runter und sag mir was los ist. Was willst du tun? Willst du mich wirklich töten?“
„Ja ganz genau das will ich. Das muss ich. Wenn ich es nicht tue, war alles um sonst. Die ganze Forschung war um sonst. Du hättest sterben müssen. Keiner brauchte dich je lebend. Wir brauchten nur etwas zum testen und dein Körper war perfekt dafür.“ Emily hat einen wilden, entschlossenen und etwas irren Blick. Sie schwenkt ihre Waffe auf meine Mutter und sagt: „Sie sollte jetzt am besten tun was ich sage, verstanden?“ Mutter nickt. „Gut. Los rüber zu ihm. Sie schieben jetzt das Bett für mich. Und machen sie bloß keine falsche Bewegung und nicht auf dumme Ideen kommen.“
Mutter kommt zu meinem Bett rüber und versucht die Räder lose zu stellen. Sie hat natürlich keine Ahnung davon, also dauert es eine Weile bis es klappt. Emily wird immer nervöser. „Nun machen sie schon. Ich hab nicht ewig Zeit. Los jetzt. Schieben sie das Bett aus den Zimmer.“ Emily winkt mit der Waffe Richtung Tür und während Mutter mein Bett rausschiebt, läuft Emily mit der Waffe auf uns gerichtet hinter uns her.
Ich bin als erster auf dem Flur und ein Blick zur Seite sagt mir was gleich passieren wird. Mutter schiebt mich immer weiter. „Schau nur grade aus Mama.“, sage ich ihr leise. Sie schiebt mich noch ein kleines Stück bis sie auch ganz aus dem Türbereich verschwunden ist. Hinter uns läuft Emily immer noch mit der Waffe. Auf dem Flur ist es unglaublich stimm geworden. „Duck dich. Jetzt!“, sag ich zu meiner Mutter. Wieder leise genug, dass Emily es sicher nicht verstehe kann. Mutter lässt das Bett los und springt neben das Bett und duckt sich dahinter. Und dann war es auf einmal sehr laut.
„Die Waffe auf den Boden legen und die Hände hoch so das wir sie sehen können!“ Der Polizist vor der Tür hat Verstärkung gerufen. Die war zum Glück auch ziemlich schnell da, wie es aussieht. Sie haben sich im Bereich hinter der Tür postiert und stellen sich nun mit gezückten Waffen um uns herum und behalten Emily ganz genau im Auge. „Los jetzt! Waffe runter und Hände über den Kopf!“, ruft einer der Polizisten erneut. Emily hebt die Hände über den Kopf, hat aber die Waffe noch in der einen Hand. Eine Polizistin nähert sich ihr von der Seite her an. Die Waffe auf sie gerichtet. Bei ihr angekommen, nimmt sie die Hand mit der Waffe und zieht sie runter um die Waffe zu entwänden und in der gleichen Bewegung ihr den Arm auf dem Rücken zu verdrehen. Ich sehe alles zwar nur spiegelverkehrt, weil durch zufall ein Fenster gegenüber der Tür ist und es recht dunkel draußen ist, aber immerhin kann ich es sehen. Emily fängt an sich zu währen, aber ein anderer Polizist schnappt sich ihren zweiten Arm. Ein dritter nimmt der Polizistin die Waffe ab, um sie in eine Tüte oder so zu stecken. Mutter kommt aus ihrem Versteck hoch und schiebt mein Bett noch ein Stück auf den Flur, weg von dem Tumult. Kartinka kommt nun auch auf mich zugelaufen, genau wie zwei Krankenschwestern.
„So ein Mist. Ist alles gut? Wo ist der Tropf? Los wir schieben ihn wieder ins Zimmer. Da ist es ruhiger.“
Die Schwestern schieben das Bett rückwärts wieder ins Zimmer. Die Polizei bringt Emily bereit raus während ich ins Zimmer geschoben werde. Man hier wird es echt nie langweilig. Dabei könnte ich mal wieder etwas Langeweile vertragen und schlaf wäre jetzt auch nicht schlecht.
Ich bin grade dabei etwas wegzudämmern, als Kartinka mich anspricht: „Hey! Jetzt wird nicht geschlafen ja? Du kannst später wieder ins Reich der Träume gehen, aber jetzt bleibst du erst mal etwas wach.“ Sie steht jetzt direkt über mir uns leuchtet mit irgendwas in meine Augen.
„Ok ok. Ich versuche nicht einzuschlafen, wenn du aufhörst mich zu blenden.“ Ich hebe die Hand um sie mir vor die Augen zu halten und drehe gleichzeitig mein Kopf zur Seite.
„Gut. Ist alles gut bei dir? Hast du Schmerzen? Ist dir schwindelig?“
„Nein ich bin nur erschöpft. Diese Ex Freundin macht mich ganz schön fertig. Mama ist bei dir alles gut?“ Meine Mutter hat sich auf einen Stuhl gesetzt und eine der Schwestern hat ihr etwas zu trinken gegeben.
„Geht schon. Ich bin nur etwas fertig. Was für eine Frau.“ Sie starrt irgendwas an, was ich nicht sehen kann und schüttelt leicht den Kopf. „Zum Glück sind wir sie jetzt los.“
In der nächsten Woche hatte ich endlich Zeit mich richtig auszuruhen. Meine Wunden verheilten richtig gut und eine Woche vor Weihnachten konnte ich endlich wieder nach Hause. Mein bester Kumpel Denis holte mich mit dem Auto ab. Auf dem Weg nach draußen habe ich Kartinka noch mal getroffen und ihr einen Zettel mit meiner Nummer gegeben. Dazu hab ich gesagt: „Jetzt bin ich nicht mehr dein Patient. Jetzt hast du keine Ausrede mehr und meine Mutter hat dich auch schon zu Weihnachten eingeladen. Also ruf mich mal an.“ Zum Abschied hab ich ihr einen Kuss auf die Wange gegeben.
Am nächsten Tag hat sie mich dann tatsächlich angerufen. Wir haben uns dann auf einen Kaffee getroffen.
Die Ermittlungen der Polizei waren auch recht schnell abgeschlossen, nachdem sie Emily verhaftet haben. Sie hat da mit drin gesteckt und mich als Opfer ausgewählt, weil ich ihr das Herz gebrochen habe. Es gab noch eine ganze Menge mehr, was sie so erzählt hat, aber ich habe den Polizisten, die mich nach meiner Aussage informiert haben, gesagt, dass ich das alles gar nicht so genau wissen will. Hauptsache die Täter bekommen ihre gerecht Strafe. Höchstwahrscheinlich muss ich noch eine Aussage vor Gericht machen. Davor sollte ich mich mit einigen Fakten noch mal auseinander setzen, aber ich habe einen Anwalt, der mir dabei hilft und die Verhandlung wurde aufs nächste Jahr gelegt. So muss ich mich zu Weihnachten nicht mit diesem Thema beschäftigen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag ist eine super Stimmung zu Hause. Wir sind zwar nur zu dritt, aber wir sind froh und glücklich, dass wir alle hier sind. Ella telefoniert wie jedes Jahr an diesem Tag mit ihrer leiblichen Mutter. Sie konnte sich damals nicht um sie kümmern, aber meine Mutter hat darauf bestanden, dass sie den Kontakt hält. So hat Ella zwei Mütter.
Während Ella als mit ihrer leiblichen Mutter spricht helfe ich meiner Mutter dabei den Tisch zu denken. Für vier Personen.
„Kartinka hat vor zehn Minuten geschrieben, dass sie in einer viertel Stunde da ist.“ Ich lächle Mutter an. Ich glaube ich war schon lange nicht mehr so glücklich gewesen und Mutter auch nicht. Nicht seit Vater gestorben ist. Seit ich aus den Krankenhaus bin ist sie die bestimmt glücklichste Frau auf der Welt und ich hab sie so unendlich lieb.
Nachdem Kartinka angekommen ist und wir zusammen Entenbraten gegessen haben machen wir uns einen gemütlichen Abend im Wohnzimmer neben dem Weihnachtsbaum und genießen jede Minute unseres Lebens.